Herz 21: 200, (1996)

Niedergelassene Spezialisten sollen abgeschafft werden

S. Silber

München


Als "Kampfansage an die Kassenärzte" hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung den SPD-Entwurf eines neuen Gesundheitsstrukturgesetztes gewertet. Im Mittelpunkt dieses Parteiprogramms, für das Herr Rudolf Dreßler verantwortlich zeichnet, steht die Abschaffung des bisherigen Prinzips (Chefarztermächtigung bei regionaler Unterversorgung in Spezialgebieten) und somit die institutionelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante, spezialärztliche Versorgung. Der schöne Ruf "so viel ambulant wie möglich, so wenig stationär wie nötig" wird von uns niedergelassenen Ärzten anders interpretiert als von der SPD: Wir verstehen unter ambulant die Versorgung im niedergelassenen Bereich, die SPD meint aber mit ambulant die Krankenhäuser.

In dem Gesetzentwurf der SPD wird die Vertragsautonomie der KVen und Krankenkassen praktisch beendet: Der SPD-Entwurf rüttelt an den Grundfesten der ärztlichen Interessensvertretung. Die "Selektion" der niedergelassenen Ärzte in Hausärzte und Fachärzte wird von der SPD noch erheblich weiter vorangetrieben: Hausärzte sollen weitgehend pauschaliert vergütet werden, der Umsatz der Fachärzte soll ab 1. 1. 1998 zunächst um 20% abgesenkt werden, wenn ein Patient den Spezialisten ohne Überweisung aufsucht (de facto Einführung des Primärarztsystems). Aber damit nicht genug: Nach dem SPD-Programm sollen die Krankenhäuser als Institution - und nicht etwa auf dem Wege persönlicher Ermächtigungen und somit unabhängig vom regionalen Versorgungsbedarf - in die ambulante fachärztliche Versorgung einbezogen werden: den öffentlich geförderten Krankenhäusern soll die Möglichkeit gegeben werden, sich um die Zulassung zur fachärztlichen ambulanten Versorgung zu bewerben. Kein Wunder, daß die SPD plant, die Zulassungsausschüsse gleichberechtigt mit Landeskrankenhausgesellschaften zu besetzen.

Es genügt nicht, dieses SPD-Programm, welches ein "aus" für die niedergelassenen Spezialisten bedeutet, einfach abzutun. Angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat führt kein Weg an der SPD-Opposition vorbei. Offensichtlich wollen alle Politiker das derzeitige Konzept, die Ausgaben im Medizinbereich an das Bruttosozialprodukt zu binden, auf Dauer festschreiben. Dementsprechend hat sich Bundesgesundheitsminister Seehofer bereits mit der SPD-Zusammenarbeit angefreundet. Somit besteht die Gefahr politischer Kompromisse, die alle niedergelassenen Spezialisten aufgrund der ungleichen Wettbewerbschancen in ihrer Existenz bedrohen und letztlich auf dem Rücken unserer Patienten (zentralisierte gesundheitliche Versorgung an den Krankenhäusern) ausgetragen werden.

Anläßlich des letzten Treffens des BNK in Rahmen der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung am 12. 4. 1996 in Mannheim, wurde beschlossen, das obige Schreiben unseres 1. Vorsitzenden, Herrn Dr. med. F. Sonntag, als offenen Brief an Herrn Oskar Lafontaine abzudrucken.


Autor:
Priv. Doz. Dr. med. S. Silber
Herzkatheterlabor der
Kardiologischen Gemeinschaftspraxis in der Klinik Dr. Müller
Am Isarkanal 36
81379 München
ssilber@med.de