Herz 20: 348, (1995)
Medizinische Fortbildung durch Internet gefährdet ?
S. Silber
München
- In einem Editorial im New England Journal of Medicine vom
Juni dieses Jahres warnen die Herausgeber vor den Gefahren, die
für die Verbreitung medizinischen Wissens durch das Internet
entstehen könnten. Seit Hunderten von Jahren bedeute das
Wort "Publizieren" ein Zusammenwirken von Herausgebern
und Verlagen. Heute aber kann jeder, der einen kleinen Computer
und ein Modem besitzt, weltweit Daten veröffentlichen. Die
direkte elektronische Publikation wissenschaftlicher Studien
droht, nach Ansicht der Herausgeber des New England Journals,
die Qualität der medizinischen Literatur zu unterminieren.
Ärzte sind keine Physiker: Das WWW wurde ursprünglich
zur raschen Verbreitung neuer Daten und deren Diskussion von
und für Physiker entwickelt (s. Beitrag "Das Internet:
woher kommt es und wem gehört es?" HERZ IV/95 ). Physiker
pflegen seit über 15 Jahren, ihre wissenschaftlichen Daten
über das Internet zu verbreiten und zu diskutieren, bevor
sie zur Publikation eingereicht werden. Es gibt Bestrebungen,
ähnliches auch für die Medizin einzuführen, so
daß die noch unveröffentlichten wissenschaftlichen
Beiträge als "work in progress" gespeichert und
abgerufen werden könnten. Die öffentliche Diskussion
über den Inhalt dieser wissenschaftlichen Arbeiten würde
dann das in allen guten Zeitschriften übliche "peer-review"-System
ablösen. Die Verbreitung medizinischer Daten über das
Internet ohne "peer-review" führt unweigerlich
zu einer Verbreitung nicht genügend fundierter oder fehlerhafter
Daten. Die wenigen qualifizierten Reviewer sollten nicht durch
Tausende Internet-User ersetzt werden. Die größte
Gefahr aber besteht in der unkontrollierten Verbreitung medizinischer
"Gerüchte", insbesondere über neue Medikamente
oder neue operative Verfahren. Da solche Vorabinformationen mit
einem hohen Unsicherheitsgrad behaftet sind, könnten sie
bei vielen Millionen Internet-Usern zu falschen Schlußfolgerungen
führen. Daher sollte auf die unkontrollierte Publikation
medizinischer Daten über das Internet freiwillig verzichtet
werden. Von größtem Nutzen andererseits ist das Abrufen
von bereits konventionell publizierten Texten und Abbildungen
über das Internet: Es kann die Suche nach Originalarbeiten
erheblich erleichtern und den individuellen Papierberg abbauen.
Autor:
- Priv. Doz. Dr. med. S. Silber
- Herzkatheterlabor der
- Kardiologischen Gemeinschaftspraxis in der Klinik Dr. Müller
- Am Isarkanal 36
- 81379 München
ssilber@med.de